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Produktivität durch Struktur – Warum Performance Culture nicht im Mehr, sondern im Wie entsteht

Der Produktivitätsdiskurs – ein Missverständnis?

Die Diskussion um Produktivität hat Konjunktur. Ob es um die Vier-Tage-Woche, die Rente mit 63 oder das Verhältnis von Arbeitszeit zu wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit geht – quer durch Politik, Medien und Management wird wieder verstärkt betont, dass „mehr gearbeitet werden muss" (*). Der Begriff „Performance Culture“ wird in diesem Kontext zunehmend als Schlagwort verwendet, insbesondere in HR-Kreisen. Was damit meist gemeint ist: mehr Leistung, mehr Tempo, mehr Initiative, bessere Ergebnisse – alles verständliche Erwartungen – denn am Ende müssen sich die meisten Organisationen mit Dasein und Überleben beschäftigen.

Auch in unseren Kundenorganisationen ist die Debatte um Performance und Produktivität längst angekommen und gehört zur Erwartung der meisten Beratungsanfragen. Darin machen wir zunehmend folgende Beobachtung: Organisationen reagieren auf Leistungsdruck mit noch mehr Steuerung (KPI), individuellen Anreizen zur Produktivitätssteigerung (Boni) oder zusätzlichen Kommunikations- und Berichtsformaten (Kontrolle). Doch die Wirkung bleibt häufig aus und das frustriert Führungskräfte wie Mitarbeitende. Denn im Hintergrund bleiben träge Entscheidungsprozesse, strukturelle Selbstblockaden, politische Spiele oder Kooperationsverweigerung bestehen. Die Ursache liegt selten im mangelnden Einsatz der Beteiligten – sondern viel mehr in der Art und Weise, wie Organisationen ihre eigene Funktionslogik beobachten, oder eben nicht beobachten.

Daraus leite ich folgende Positionierung ab:  Wer Produktivität steigern will, sollte nicht primär nach mehr Output fragen – sondern die strukturellen Bedingungen in den Blick nehmen, unter denen Entscheidungen anschlussfähig werden. Erst dadurch wird ein differenzierter Umgang mit Produktivitätshemmnissen oder Performance-Killern möglich.

In diesem Artikel befasse ich mich mit Erwartungsbildung in Organisationen und biete vier konkrete Beispiele für Performance Blockaden, die Problemlösungen und Lösungsprobleme gleichermaßen in den Blick nimmt.

Performance als Erwartungsstruktur

Systemtheoretisch betrachtet sind Organisationen keine Maschinen, die man reparieren oder mit „mehr Energie“ zum Laufen bringen kann. Sie sind auch keine Gemeinschaften, in denen ein gemeinsamer Wille genügt. Organisationen sind in Kommunikationssysteme, die Entscheidungen produzieren und über Kommunikation reproduzieren. Damit Entscheidungen auf Dauer wirksam werden, bilden Organisationen Strukturen aus: Rollen, Kommunikationswege, Prozesse, Regeln, Routinen, informale Trampelpfade, effiziente Workarounds.

Kurzum, Strukturen dienen der Erwartungsbildung und -Stabilisierung, schaffen Orientierung, reduzieren Ungewissheit und ermöglichen Anschlusskommunikation. Dabei lässt sich Strukturbildung in Organisationen stets auf drei Seiten beobachten:

  • formal: Kommunikationswege, Zeichnungsbefugnisse, Prozesse, Rollenbeschreibungen, Zielsysteme, Richtlinien – kurzum, all das, was die Organisationsmitgliedschaft definiert;
  • informal: in Gewohnheiten, Kollegialität, impliziten Regeln, effiziente Workarounds, Trampelpfade und unscharf auch Mikropolitik – kurzum, die nicht entschiedenen Entscheidungen;
  • schauseitig: in Visionen, Leitbildern, externen Botschaften, Webseitendarstellungen oder symbolischen Kommunikationsformen, kurzum – Erwartungsbildung an ein Widerspruchsfreies (wasserdichtes) Bild der Organisation oder Organisationseinheit.

Die drei Seiten der Organisation stehen nicht harmonisch nebeneinander. Sie erzeugen unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Erwartungslagen für Organisationsmitglieder – und nicht selten Friktionen. Wenn z.B. eine formale Erwartung auf Geschwindigkeit in der Projektarbeit ausgelegt ist (etwa durch eine Zielvorgabe), aber in informalen Netzwerken Freigaben und Feedback erwartet wird und schauseitige Kommunikation andere Zielbilder adressiert, entstehen Inkohärenzen, die Anschlussfähigkeit verhindern. Entscheidungsprozesse geraten ins Stocken, Verantwortlichkeiten werden diffus, operative Wirksamkeit leidet.

Produktivität wird dort begünstigt, wo Erwartungen auf allen drei Ebenen – formal, informal und schauseitig – hinreichend anschlussfähig zueinander in Kommunikation stehen. Das kann man sich als Erfolgsformel an die Bürotür hängen.

 Dabei gilt: Organisationen sind immer mit Mehrdeutigkeiten konfrontiert. Unterschiedliche Umweltakteure stellen unterschiedliche Erwartungen an Organisationen. Davon ist keine Organisation der Welt ausgenommen. Spannend wird es in der Art und Weise der Bearbeitung. Wo wird Arbeit wie aufgeteilt, wo bleibt die Organisation auf Spannung gesetzt und wo sind die Spannungen (z.B. durch klare Entscheidungswege oder Arbeitsteiligkeit) wegorganisiert. Zielkonflikte und Paradoxien sind nicht pathologisch, sondern systemimmanent. Organisationale Leistung besteht nicht darin, diese Widersprüche aufzulösen, sondern darin, sie bearbeitbar zu halten.

Produktivität ist in diesem Sinne kein Resultat von Motivation, sondern von funktionierender Erwartungskoordination. Sie ist kein Ergebnis individueller Leistungsbereitschaft, sondern strukturell erzeugter Anschlussfähigkeit.

Wenn Steuerung Nebenfolgen produziert

Viele Steuerungsinstrumente in Organisationen zielen auf mehr Ergebnisorientierung: Bonusmodelle, KPIs, OKRs oder Lean-Prozesse sollen Klarheit, Tempo und Leistungsmessbarkeit fördern. Was dabei oft unbeachtet bleibt: Solche Maßnahmen verändern erstmal die Sichtbarkeitslogiken in der Organisation. Anders formuliert, sie verschieben, worauf Aufmerksamkeit gelenkt wird, welche Verhaltensweisen belohnt werden und was im Kommunikationsprozess als relevant gilt.

Die Folge: Erwartungen verändern sich. Und mit ihnen verändern sich auch die Prämissen, auf denen Entscheidungskommunikation beruhen. Ein Bonusmodell, das individuelle Zielerreichung belohnt, kann die Bereitschaft zur teamübergreifenden Kooperation schwächen. KPIs, die auf messbare Outputs fokussieren, können Aktivitäten fördern, die leicht messbar, aber wenig wirksam sind. Eine Standardisierung kann Eigenverantwortung verdrängen, wenn sie zu schematischer Pflichterfüllung führt. Das Problem ist nicht das Instrument – sondern die Frage, in welcher Form diese Struktur wirkt und welche Erwartungskonflikte erzeugt werden.

Produktivität hängt nicht davon ab, ob Menschen wollen oder können – sondern davon, ob sie in einem System arbeiten, in dem ihre Entscheidungen auf Erwartungen treffen, die Anschluss ermöglichen.

4 Fallbeispiele: Struktur erzeugt Verhalten und produziert Performance-Lücken

In den folgenden Beispielen aus unserer Beratungsarbeit möchte mich den Themen Produktivität und Performance Culture pragmatisch und praxisbezogen annähern. Daher lege ich besonderes Augenmerk darauf, dass jede Problemlösung auch Lösungsprobleme mit sich bringen wird.

Fall 1: Bonusmodell blockiert Zusammenarbeit

In einem Unternehmen ruft die Geschäftsführung nach einer Performance-Kultur. HR schlägt ein neues Incentivierungsprogramm vor. Zielgespräche mit Boni sollen Mehrleistung belohnen. Die Mitarbeitenden begrüßen das Programm zunächst, viele verstehen es als Wertschätzung. Doch schon beim Rollout zeigt sich: Die Teamleitungen müssen mit jeder Person individuelle Ziele vereinbaren, welche Grundlage der Bonusausschüttung sein sollen. Schnell verschiebt sich der Fokus auf individuelle Zielerreichung. Schnittstellen werden vermieden, da Zuarbeit die eigene Zielerreichung gefährden könnte. Einige Teamleitungen berichten von wachsender Konkurrenz und Misstrauen zwischen Abteilungen. In Folge steigt der Koordinationsaufwand im Top Management und die gegenseitige Unterstützung sinkt. In einer aufwändigen Analyse konnten die Folgen herausgearbeitet werden und das Programm wurde beendet.

Der zugrundliegende Erwartungskonflikt: individuelle Zielmaximierung vs. organisationale Kooperation

Fall 2: High Performance trifft auf lokale Rationalität

In einem Softwareunternehmen ignorieren leistungsfähige Entwicklungsteams bewusst Vorgaben aus dem Qualitätsmanagement, insbesondere die im QM-Prozess festgelegten Dokumentations- und Reviewpflichten. Die Teamleitungen schützen diese Praxis, weil sie den Zeitgewinn für Innovation als zentralen Erfolgsfaktor verstehen. Das zentrale QM-Team, als Stab organisiert, interveniert mehrfach und meldet den Regelbruch letztlich an die Geschäftsleitung. Da der Fall jetzt auf offener Bühne diskutiert wird, betont die Geschäftsführung Regeltreue und stellt sich demonstrativ hinter das Qualitätsmanagement. Die Folge: Kontrolle steigen und der Kommunikationsaufwand wächst, die Teammitglieder empfinden den Eingriff als Vertrauensbruch, diskutieren über die Berechtigung von QM-Anfragen. Die Produktivität sinkt, Releases verzögern sich. Erst als das Spannungsfeld offen diskutiert wird, gelingt ein differenzierter Umgang mit formalen und operativen Anforderungen.

Der zugrundliegende Erwartungskonflikt: formale Prozessvorgabe vs. operative Lösungskompetenz

Fall 3: Entscheidungsblockade durch unklare Verantwortung

Ein Managementteam mit fünf Unit- Leitungen soll gemeinsam über Innovationsprojekte entscheiden. Zwei davon führen Business Units, drei verantworten Supportfunktionen. Die Units sind formal gleichgestellt, die Hierarchie erwartet kollektive Entscheidungen über zukünftige Geschäfts- und Innovationsfelder. Der Auftrag ist jedoch diffus, Verantwortung unklar, Entscheidungsfolgen nicht geregelt. Die Unit-Leitungen werden von erfahrenen Agile Coaches begleitet und trotz regelmäßiger Offsites und Workshops, beginnt jede Sitzung erneut mit Grundsatzfragen. Einzelgespräche offenbaren: Die nächsthöhere Führungsebene kommuniziert je nach Gesprächspartner abweichende Erwartungen und setzt auf Eigenverantwortung und den besten Willen der beteiligten Unit- Leitungen. In dieser Selbststeuerung bilden sich informale Hierarchien zwangsläufig aus, wer Businessverantwortung innehat, der gibt den Weg vor, kollektive Verantwortung passiert schauseitig und bleibt damit formal folgenlos. Die Beteiligten pendeln zwischen Engagement und Rückzug.

Der zugrundliegende Erwartungskonflikt: kollektive Entscheidung vs. individuelle Haftungsvermeidung und eine ungeklärte Frage von Verantwortung vs. Verantwortlichkeit der Zeit, Geld und Motivation kostet.

Fall 4: Unsichtbare Ressourcenkämpfe

Der verantwortliche Projektleiter eines Digitalisierungsprojekts beklagt mangelnde Unterstützung. Die betroffenen Fachbereiche entsenden Stellvertretungen statt Leitungskräfte zu den gemeinsamen Workshops und verzögern Zuarbeit. Die Projektleitung berichtet von stockenden Entscheidungen, fehlenden Ressourcen und wachsender Frustration bei den Beteiligten. In Workshops entstehen Verbesserungsvorschläge – doch sie verlaufen im Sand. Eine Analyse zeigt: In der Organisation gilt das unausgesprochene Gesetz, dass Sichtbarkeit im Kerngeschäft belohnt wird. Wer Projekte übernimmt und Erfolg sichtbar kommuniziert, wird mit Ressourcen belohnt und gewinnt so an Einfluss im operativen Alltag. Bereichsübergreifende Initiativen sind da erstmal gegenläufig und Unterstützung für bereichsübergreifende Initiativen bringt kaum Credits für den eigenen Bereich. Der Ressourcenkampf wird nicht offen benannt – aber in der Erwartungsbildung wirksam reproduziert. Der zugrundliegende Erwartungskonflikt: Projektmitarbeit vs. interne Positionssicherung

Fazit: Performance beginnt mit struktureller Erwartungsklärung

Die Hoffnung, Produktivität durch Motivation, Leitbilder oder Druck zu steigern, greift zu kurz. Organisationen leisten nur so viel, wie ihre Strukturen es ermöglichen und dabei gibt es nie beste Lösungen, sondern individuell zugeschnittene Passungen. Performance entsteht nicht durch „mehr vom Gleichen“, z.B. dadurch dass man Mehrarbeit anweist, weil es alle machen, auf KPI setzt, weil es der Trend ist, oder Boni-Programme aufsetzt, weil man das heute so macht - sondern durch kluges Organisieren.

Wenn wir mit unseren Kunden über Produktivitätssteigerung und Performance-Kultur sprechen, dann beginnen wir nicht mit Zielvorgaben, KPI oder Leitbildern – sondern mit strukturierter Beobachtung und Analyse:

  • Wie funktioniert Erwartungsbildung in unserer Organisation – formal, informal, schauseitig – Was begünstigt sich gegenseitig, wo entstehen Produktivitätskiller und Selbstblockaden?
  • Für welches Problem ist der Ruf nach Produktivität oder Performance Culture eigentlich eine Lösung?
  • Was handeln wir uns ein, wenn wir unsere Strukturen auf Produktivitätssteigerung auslegen?

Wer diese Fragen systematisch stellt, kann erkennen, wo die eigene Organisation sich möglicherweise selbst blockiert – und wo produktive Anschlussfähigkeit wieder hergestellt werden kann.

Die Diskussion um Leistung und Produktivität muss sich daher weniger an der Anzahl der Arbeitsstunden oder der Frage, ob man jetzt Boni oder KPI nutzt, orientieren – sondern an der Qualität struktureller Kopplungen. Nur wenn Erwartungsbildung kohärent gelingt, kann aus Kommunikation mehr Leistung werden.

Quellen:

  • Bild von Pexels auf Pixabay
  • (*) in Anlehnung an die Äußerung von Friedrich Merz zur Regierungserklärung im Mai 2025
  • Luhmann, Niklas (2000): Organisation und Entscheidung, Westdeutscher Verlag
  • Kühl, Stefan (2020): Sisyphos im Management, transcript Verlag
  • Metatheorie der Veränderung, Klaus Eidenschink, www.metatheorie-der-veraenderung.info

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