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OKR – Was wir erwarten, bestimmt, was wir erleben

Neugier, Frust, Fehlende Teammotivation – von diesen und anderen gemischten Emotionen hörten wir in unserem Webinar “Zielorientiert Arbeiten – Verliebt in OKRs?!” Und tatsächlich: OKRs bringen vieles in Bewegung – Strukturen, Routinen, Erwartungen. Und manchmal eben auch Emotionen. 

Dieser Artikel beleuchtet, was wirklich passiert, wenn OKRs eingeführt werden und warum Erwartungen an die Methode oft nicht erfüllt werden. Zugleich geht es darum, was wir tatsächlich von OKRs erwarten können und wie sie dann, mit einer passenden Erwartungshaltung, wirksam werden können. 

Nicht die Frage, wie OKRs „richtig“ funktionieren, steht dabei im Vordergrund. Stattdessen nehmen wir die Methode selbst in den Blick. Entscheidend ist weniger die Anwendung nach Lehrbuch, sondern vielmehr: Was geschieht, wenn Organisationen Steuerungsimpulse wie OKRs einführen? Welche Verschiebungen ergeben sich im Gefüge von Erwartungen? Und welche Ergebnisse sind realistisch – jenseits verheißungsvoller Heilsversprechen? 

Erwartungen an OKRs: Ein blinder Fleck 

Organisationen bestehen nicht einfach aus Menschen, Prozessen und Tools. Ihr zentrales Medium sind Entscheidungen. Doch Entscheidungen entstehen nicht im luftleeren Raum. Sie werden durch Erwartungen gerahmt: Erwartungen etwa darüber, was überhaupt entscheidungsrelevant ist, wer entscheiden darf, was als Erfolg gilt und welche Routinen als selbstverständlich vorausgesetzt werden. 

Diese Erwartungsstrukturen sind oft unausgesprochen und informell. Sie finden sich selten in Handbüchern oder Organigrammen, prägen aber Verhalten und Entscheidungen nachhaltig. Sie prägen maßgeblich, in welchem Maß Organisationen anschlussfähig kommunizieren und handlungsfähig bleiben. 

OKRs greifen in diese Erwartungsstrukturen ein. Sie verschieben, was in einer Organisation als relevant gilt und verändern damit auch die Formen der Verständigung: worauf Aufmerksamkeit gerichtet wird, wie Führung wahrgenommen wird, wie Gespräche geführt werden und wie Entscheidungen vorbereitet und getroffen werden.  

Für die Praxis wirft das eine naheliegende Frage auf: „Reicht es nicht, Erwartungsmanagement zu betreiben – also klar zu sagen, was zu erwarten ist und was nicht?“ Die Erfahrung zeigt: Nein. Denn Erwartungen in Organisationen sind nicht bloß individuelle Vorstellungen, die sich einfach “verkünden” lassen und durch Kommunikation korrigierbar sind. Sie sind kollektiv verankert, widersprüchlich, über Strukturen stabilisiert und durch Routinen immer wieder bestätigt. Genau deshalb wird die Einführung von OKRs zu einem organisationalen Veränderungsvorhaben, auch wenn es auf der Oberfläche „nur“ wie eine neue Methode aussieht. 

Ein Beispiel

Ein Unternehmen führt OKRs ein, um die Strategieumsetzung zu verbessern. Die offizielle Ansage lautet: „Wir wollen mehr Transparenz schaffen und besser zusammenarbeiten.“ Die bestehenden Routinen und Erwartungsmuster sehen jedoch anders aus: Ziele werden bislang so formuliert, dass sie auf jeden Fall erreichbar sind – weil sie später in Leistungsbeurteilungen einfließen. Führungskräfte bewerten Ergebnisse zudem am Jahresende in vertraulichen Runden. In diesem Gefüge wirkt die Einführung von OKRs wie eine Störung: Plötzlich sollen Ziele ambitioniert gesetzt, sichtbar geteilt und regelmäßig überprüft werden. Damit verschiebt sich die Grammatik des Entscheidens und Kommunizierens – nicht nur formal, sondern im alltäglichen Handeln. 

Veränderungsvorhaben wie die Umstellung auf OKRs haben also ihren Preis: Sie erfordern, dass eingespielte Routinen irritiert werden. Damit sind sie riskant, weil Stabilität verloren geht, Orientierung infrage gestellt wird und alte Selbstverständlichkeiten brüchig werden. Zugleich sind sie produktiv, weil in dieser Irritation neue Verständigung entstehen kann, die Organisationen zukunftsfähig macht. 

OKRs als Verstärker von Erwartungen 

OKRs stiften neue Formen der Verständigung: über Ziele, Prioritäten, Fortschritt. Das ist ihre Stärke und zugleich ihre Zumutung. Denn jede neue Verständigung verschiebt die bisherigen Selbstverständlichkeiten.  

Ein Team, das bislang operativ orientiert war, soll plötzlich an Zukunftsfragen mitwirken. Eine Führungskraft, die es gewohnt war, Entscheidungen im vertrauten Kreis zu treffen, soll sich nun mit mehreren Teams synchronisieren. 

So treten Spannungen zutage, die vorher nur unterschwellig wirksam waren: 

  • zwischen Vision und Alltag, 
  • zwischen Anspruch und Machbarkeit, 
  • zwischen Kontrolle und Vertrauen. 

Diese Spannungen sind nicht Ausdruck von Fehlern, sondern strukturell notwendig. Organisationen bewegen sich immer in solchen Doppelbindungen: Sie müssen zugleich stabil bleiben, um arbeitsfähig zu sein, und instabil werden, um Neues möglich zu machen. OKRs lösen diese Spannungen nicht – aber sie machen sie sichtbar. Und genau darin liegt ihre eigentliche Bedeutung: Sie verwandeln latente Erwartungsdifferenzen in gemeinsame Gesprächsanlässe.  

OKRs sind kein Heilsversprechen, sondern ein Gesprächsangebot 

Organisationen, die OKRs einführen, verfolgen in der Regel bestimmte Ziele – und damit verbundene Erwartungsbilder. Vier Motive tauchen besonders häufig auf: 

1. Strategie wirksam umsetzen und Fokus schaffen 
 
OKRs sollen Aufmerksamkeit bündeln, also den Schritt ermöglichen vom „alles ein bisschen“ hin zu wenigen, strategisch relevanten Ergebnissen. Systemisch betrachtet, wirken sie dabei als Entscheidungsprämissen: Sie markieren, welche Themen mehr Aufmerksamkeit erhalten und welche in den Hintergrund treten und verschieben damit die Wahrscheinlichkeit künftiger Entscheidungen. 
Risiko: Wenn zu viele Objectives parallel laufen oder Key Results nur alte KPIs umetikettieren, entsteht Scheinfokus – die erwartete Entlastung bleibt aus. 

2. Zusammenarbeit jenseits von Silos koordinieren 
 
OKRs können dazu beitragen, Bereiche horizontal zu koppeln: durch gemeinsame Ziele, abgestimmte Abhängigkeiten und sichtbare Beiträge. Damit irritieren sie die reine „Linienlogik“ und können eine Orientierung an Wertströmen oder Kundenerfahrungen wahrscheinlicher machen. 
Risiko: Ohne abgestimmte und verbindliche Kadenzen und Foren (z. B. Alignment- oder Review-Formate) droht Meeting-Inflation: Es entstehen viele Gesprächsanlässe, die Austausch erzeugen, ohne jedoch eine neue Richtung zu eröffnen – und damit eher Belastung als Orientierung schaffen.  

3. Transparenz und Lernrhythmus etablieren 
 
OKRs schaffen einen Takt: Quartalsweise Ausrichtung, regelmäßige Reviews, Retrospektiven. Damit werden Zeitstrukturen neu gesetzt – und mit ihnen Erwartungen an Fortschritt, an Kurskorrektur und an gemeinsames Lernen. 
Risiko: Wenn Reviews zu reinen Statusrunden verflachen, entsteht Transparenz ohne Wirkung: Vieles wird sichtbar, doch kaum etwas davon findet Eingang in künftige Entscheidungen – Orientierung geht verloren, statt gestärkt zu werden. 

4. Individuelle Performance messen (häufig, aber problematisch) 

Nicht selten werden OKRs als Instrument zur Beurteilung einzelner Mitarbeitender genutzt. Das ist verbreitet – und systemisch unglücklich. Sobald OKRs mit Vergütung oder Karriereentscheidungen verknüpft werden, verschieben sich Erwartungen in Richtung Risikovermeidung: Ziele werden vorsichtiger gesetzt, Kennzahlen taktisch optimiert, und das Lernen verliert an Attraktivität. 

Besser: OKRs als Rahmen für Teams und Organisation verstehen – zur Orientierung, zum Lernen, zur Ausrichtung. Individuelle Leistung sollte davon entkoppelt reflektiert werden: entlang von Rollen, Kompetenzprofilen und nachvollziehbaren Beiträgen zur Wertschöpfung. 

Alle vier Motive sind nachvollziehbar – und zeigen doch: OKRs werden oft mit sehr unterschiedlichen Erwartungen aufgeladen. Manche davon lassen sich realisieren, andere führen fast zwangsläufig zu Enttäuschung. So eignen sich OKRs nicht zur Leistungsbewertung einzelner Mitarbeitender. Und sie können nicht automatisch aus Silos Teamwork machen. Sie eröffnen jedoch neue kommunikative Arenen, in denen genau diese Themen verhandelt werden können. 

OKRs als Kommunikationsform über Zukunft

Wer OKRs lediglich als Management-Tool versteht, unterschätzt ihre Wirkung. Sie erzeugen keine Realität durch Ansagen oder Kontrolle, sondern durch geteilte Erwartungen. Sie wirken nicht als Technik, sondern als Kommunikationsform. 

In diesem Sinne sind OKRs ein Rahmen, um Zukunft im Heute verhandelbar zu machen – durch strukturierte Irritation, durch Perspektivwechsel und dadurch, dass Spannungen nicht verdeckt, sondern als Ressource für Verständigung genutzt werden. Sie geben Organisationen einen Raum, in dem Erwartungen nicht stillschweigend fortgeschrieben, sondern bewusst neu geformt werden. 

Damit werden OKRs zu etwas anderem, als viele anfangs vermuten: nicht zur Steuerungstechnik, sondern zur Gesprächsform über das, was Organisationen in Bewegung hält. 

Was tatsächlich von OKRs zu erwarten ist

OKRs machen die Welt nicht unbedingt einfacher. Doch sie werfen die richtigen Fragen auf: Worum geht es uns eigentlich? Welche Richtung soll die Organisation einschlagen? Welche Spannungen gilt es bewusst auszuhalten, statt sie vorschnell aufzulösen? 

Sie machen Organisationen nicht automatisch effizienter. Aber sie können helfen, strategisches Arbeiten nicht als abstrakte Vorgabe, sondern als gemeinsames Gespräch zwischen Bereichen, Ebenen und Perspektiven zu gestalten.

Und sie versprechen keine Sicherheit. Doch sie können uns darin stärken, klug und mutig mit ihr umzugehen. Vorausgesetzt, OKRs werden nicht als starrer Fahrplan verstanden, sondern als Kompass, der Orientierung gibt und zugleich Offenheit bewahrt für Umwege, Zwischentöne und gemeinsames Ringen um Richtung. 

So verstanden, sind OKRs weniger ein Werkzeugkasten der Steuerung als ein Resonanzraum: Sie lassen die vielen Stimmen einer Organisation hörbar werden – und machen darin jene Zukunft verhandelbar, die sich erst noch entfalten muss. 

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