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Gedanken zur Arbeit an der Organisationskultur

„Die Kultur bist Du“…, …“eine offene Fehlerkultur sicherstellen“…, …Vielfalt, Respekt und Gleichstellung als Grundlage für unsere Führungskultur. Diese und eine Vielzahl ähnlicher Beispiele stehen beispielhaft für die Beschreibung einer Organisationskultur. Erst kürzlich wurde von der Unternehmensberatung Heidrick & Struggles ein Global Survey veröffentlicht, in dem “Almost three quarters (71%) of CEOs…“ Organisationskultur “…as a top factor positively influencing financial performance…” bewerten, im Vergleich zu 2021 (“…from 26% in 2021…”) (1). Spiegel, managermagazin usw. berichteten darüber. Derartige Studien werden häufig von Beratungsagenturen selbst angefertigt, um damit letztlich auch Beratungsangebote zu legitimieren. Darauf, oder auf ähnliche Studien, die von Beratungsagenturen angefertigt werden, möchte ich in diesem Artikel gar nicht weiter eingehen (2). Vielmehr möchte ich mir den Begriff der Organisationskultur genauer anschauen und eine Fassung anbieten, die jenseits von gut oder schlecht, also nicht normativ argumentiert (d.h. die Organisationskultur muss heutzutage immer so oder so sein). Dazu schrieb Ed Schein: “As we will see, many of these usages of the word culture display not only a superficial and incorrect view of culture, but also a dangerous tendency to evaluate particular cultures in an absolute way and to suggest that there actually are “right” cultures for organizations” (3, S. 8).

Normative Vorstellungen der Organisationskultur führen schnell in Einbahnstraßen.

Aus der Annahme, dass die Arbeit an der Organisationskultur eine kausale Kette der Symptombekämpfung ist, folgen typischerweise die üblichen Lösungsvorgehen in mehr oder weniger umfangreich angelegten Culture-Change-Projekten. Beliebt ist dabei der einzelne Mitarbeitende als Ansatzpunkt, dessen unpassendes Mindset durch Personalentwicklungsmaßnahmen (in zum Teil übergriffigen Varianten) adressiert wird. Das teilnehmende Mitarbeitende gegenüber derartigen Maßnahmen ein zum Teil ausgeprägtes Fremdheitsgefühl entwickeln, gehört fast zu den Standardreaktionen (Quelle: Eigene Beobachtung aus eigenen Beratungsprojekten; 4).
Auch Werte werden gerne als Ansatzpunkt der Kulturentwicklung verstanden, und in einem Leitbildprozess verarbeitet. Wer sich an den letzten Leitbildprozess erinnert, wird sich vielleicht auch an die Wochen danach und den folgenden Satz erinnern: Wann setzen wir das Leitbild denn eigentlich um? Oder auch: Warum handelt das Top-Management eigentlich nicht nach unserem Leitbild?
Dass derartige Reaktionen nicht überraschend sind, ergibt sich aus den Erkenntnissen, die uns die Systemtheorie Niklas Luhmanns liefert (5).

Mindset, Motivation und persönliche Einstellungen liegen in der Umwelt der Organisation, und entziehen sich der direkten Einflussnahme durch die Organisation. Ob Mitarbeitende motivierter Kunden im Servicecenter empfangen, schneller Gäste bedienen oder unternehmerischer Entscheidungen treffen, kann durch die Organisation nicht entschieden werden.
Arbeitet man am Leitbild, so agiert man überwiegend auf der Schauseite der Organisation. Die Schauseite ist die Seite der Organisation, auf der ein möglichst widerspruchsfreies (und dazu dienen Werte) Bild der Organisation gegenüber ihren Umwelten (dazu zählen auch die Mitarbeitenden) angeboten wird. Im Vergleich zur formalen Seite der Organisation, geht von ihr jedoch kaum strukturierende Wirkung, im Hinblick auf tägliches Tun und Lassen der Organisationsmitglieder aus. Werte wären keine Werte, wenn sie konkretes Handeln beschreiben.

Organisationskultur – Die informale Seite der Organisation

Betrachtet man Organisationskultur konsequent mit Niklas Luhmann – und so verstehen wir den Kulturbegriff – dann ergeben sich nicht nur Antworten auf die Frage, ob und wie ein Leitbild umgesetzt werden kann, sondern auch weitere Einsichten. Luhmann beschreibt Kultur als den Ausgleich für all das, was „…durch Anweisung nicht gelöst werden…“ kann. (5, S.200) Die Kultur – oder informale Seite der Organisation – wird nicht gezielt herbeigeführt oder entschieden – sie entsteht von selbst (5).
Ob regelmäßig verdoppelte Meetingzeiten (trotz Meetingregeln), an der Kasse mit der Kollegin über die Arbeit meckern oder gar andauernde Regelverstöße (z.B. beim Arbeitsschutz – dazu mehr unter dem Schlagwort brauchbare Illegalität), wer jetzt einen sofortigen Veränderungsimpuls verspürt, dem empfehle ich innezuhalten. Organisationen brauchen ein Mindestmaß an Stabilität, d.h. Erwartungen die entweder formal (per Regel) oder informal (so macht man das halt hier) geklärt sind. Müsste man täglich alles neu entscheiden, landet die Organisation schnell in der Überhitzung. Bietet die formale Seite Sicherheit dahingehend, was von mir als Mitglied der Organisation erwartet wird, füllt die Organisationskultur die Graubereiche und sichert einen gewissen Freiraum (den Mitgliedern und der Organisation). Damit erklärt sich auch, warum die Unterscheidung in schlechte und gute Kulturen zu kurz greift, denn jede Kultur – mag sie auch noch schlecht bewertet werden, dient der Stabilität.

Welche Erkenntnisse bietet ein differenzierender Begriff der Organisationskultur?

Eine derartige Beschreibung der Organisationskultur ist eine Herausforderung für eigene Ursache-Wirkungs-Denkweisen. Sie erschwert zudem den Zugriff auf als störend empfundene Verhaltensweisen und Reaktionen- sie offenbart aber auch neue Möglichkeiten. So lassen sich meiner Meinung nach, viele stichhaltige Argumente für Personalentwicklungsmaßnahmen oder auch einen Leitbildprozess finden– ausgehend von einer differenzierten Erwartungshaltung können die Ergebnisse dann angemessen eingeordnet und die Erwartungshaltung im Ankündigungsprozess ggü. den Mitarbeitenden beachtet werden.
Ich erinnere mich an ein Beratungsprojekt mit einer Verwaltungsorganisation, für die der Nutzen des Leitbildprozesses darin bestand, den Widerspruch aus ausgeprägten Regulierungserwartungen aus der Politik und den Erwartungen der Mitarbeitenden an moderne Zusammenarbeit zu bearbeiten. Über diesen (Um)weg schaffte sich die Organisation Zugang zu Verbesserungsmöglichkeiten in der Formalstruktur.
Da Kulturprogramme nicht selten erhebliche Ressourcen binden (in der Vorbereitung, währenddessen durch Workshops und im Anschluss durch das individuelle Diskrepanzempfinden und das sich daran anknüpfende Micro-Management), ist spätestens bei der Auswahl von Kultur-Agenturen ein differenzierender Blick hilfreich.

In unseren Beratungsprojekten, die die Organisationskultur adressieren, stellen wir gerne die Frage: Für welches Problem stellt die Arbeit an Mindset oder Werten eigentlich eine Lösung dar? Unserer Ansicht nach sollten sich Organisationen genau überlegen, welcher Teil der Kultur offen in die Diskussion gebracht wird, da damit immer auch die bestehende Stabilitätswirkung in Frage gestellt wird. Ist der Ruf nach einer Kulturveränderung besonders laut, dann hilft dann der Diskurs darüber, dass es Probleme in der Organisation gibt, die mit der aktuellen Formalstruktur nicht gelöst werden können und informal nicht länger gelöst werden dürfen.

Verstehet man Organisationskultur konsequent als „Reaktion“ auf formale Defizite, dann ist sie auch nur über diesen Umweg veränderbar. Nicht direkt, sondern stets durch Beobachtung auf veränderte formale Umstände. Ob man über die Formalstruktur an die Kultur herankommt, ist dabei noch nicht beantwortet. Nicht selten befinden sich die „kulturellen Probleme“ im Latenzbereich der Organisation und Latenzen öffentlich zu adressieren, bringt Unruhe in den Laden und ist daher mit Risiken verbunden.
Nicht selten machen wir in unserer Beratung die Beobachtung, dass nachdem wir den Kulturbegriff mit unseren Kund:innen geklärt haben, der Dialog in ganz andere Richtungen geht und dabei offenbart sich eine weitere Funktion von Culture-Change-Projekten: Der Schutz der bestehenden Formalstruktur (6).

Paradoxiebearbeitung in der Arbeit an der Organisationskultur – Ohne Beobachtung ist alles Nichts

Auch wenn die oben beschriebenen Aspekte von zentraler Bedeutung sind, so komme ich nicht darum herum, mit einem zentralen Dilemma zu enden. Die Erkenntnis, Veränderung über die Formalstruktur zu organisieren, ist einerseits wichtig. Doch welche Kultur sich als Folge von Veränderungen einstellt, lässt sich nicht kausal vorhersehen, da formale wie informale Seite ein Eigenleben führen (Kühl: Organisationen eine kurze Einführung). Zudem sind die meisten organisationalen Veränderungsvorhaben, auch auf ein wohlwollendes Mindset bei den beteiligten Mitarbeitenden angewiesen, welches sich jedoch nicht anweisen lässt (Stichwort Umwelt) – Henne vor Ei, Ei vor Henne – Beides ist durchaus plausibel.

Fazit:

Bremsen oder Fliegen? Organisationskultur kann den Erfolg ihrer Organisation in alle Richtungen beeinflussen. Möchte man an der Organisationskultur in der eigenen Organisation arbeiten, wünscht sich dort ein anderes beobachtbares Verhalten, bedarf es einer ausgeprägten Beobachtungsfähigkeit der veränderungstreibenden Kräfte und kluger Fragen zu Beginn des Prozesses:

  • Welches Problem wollen wir eigentlich bearbeiten?
  • Wie erhalten wir eigentlich Zugang zu unserer Organisationskultur?
  • Welchen Spielraum sehen wir überhaupt?
  • Über welche Strukturen nehmen wir Einfluss auf die Kultur?
  • Was erwarten wir von dem geplanten Vorhaben?

Ich hoffe meine Ausführungen stellen eine Bereicherung für ihren nächsten Kulturprozess dar.

Quellen:

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