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Organisationen begreifen um sie zu gestalten

Organisationen prägen einen Großteil unseres Lebens. Ob Schule, Krankenhaus, Arbeitsort, Supermärkte, Handelsunternehmen, Sportverein, Nachverkehrsunternehmen, Telekommunikationskonzern – die Beziehung Mensch-Organisation ist ein feingliedriges, gegenseitiges Erwartungsgeflecht – keine Seite kommt ohne die andere aus. Dabei sind Organisationen stets Adressatinnen vieler unterschiedlicher Erwartungen, Sehnsüchte und Vorstellungen. Das gilt auch und besonders dann, wenn sich Organisationen verändern sollen.
Meine These – die Art und Weise wie Organisationen zumeist verstanden werden, führt meiner Beobachtung nach zu einer Überfrachtung der Organisation und mündet in einer Überforderung auf beiden Seiten. Wer Organisationen gestalten will oder damit beauftragt ist, sollte das eigene Organisationsbild auf den Prüfstand stellen.
Wenn über Organisationen gestritten wird, dann prallen gerne zwei Grundannahmen aufeinander:

  1. Die Organisation ist eine Maschine, deren Funktionieren ins Zentrum des Organisierens steht.
  2. Die Organisation ist eine Ansammlung von Menschen, deren Bedürfnisse in das Zentrum des Organisierens gestellt werden.

Das problematische an beiden Grundannahmen ist, dass sie den Kontext jeder realen Organisation stark vereinfachen. Läuft die Maschine nicht rund, dann sind Reparaturversuche die wahrscheinlichste Antwort. So werden Organigramme umgebaut, Meetingregeln eingeführt, Design Thinking Räume oder Agile Schnellboote als Spontanreaktion eingerichtet. Doch was war eigentlich das ursprüngliche Problem? Steht der Mensch im Zentrum, so wird in ihm auch Problem und Lösung gesehen und es folgen Werte- und Haltungsworkshops, Coachings, Brand Ambassadors, Intraprenöre, Purpose Statements oder die Idee einer transformationalen Führungskraft.
Keine Frage, für jede dieser Maßnahmen gibt es berechtigte Praxisfälle. Es sind die Grundannahmen, welche den Handlungsspielraum jeder Organisation massiv einschränken, obwohl dieser, besonders in Veränderungssituationen, möglichst groß sein sollte.
In unserer Beratungsarbeit nutzen wir einen differenzierteren Begriff von Organisationen, den ich hier kurz skizzieren möchte.
Ob ein Unternehmen, eine Verwaltungsbehörde oder eine NGO – sobald es darum geht, einen Zweck zu erfüllen, für den es mehr als eine Person braucht, geht es ums Organisieren. Wer macht was, wann kommt man zusammen, welches Produkt/Dienstleistung bietet man an – schnell erblickt eine Organisation das Licht der Welt. Und genau das beschreibt Organisationen. Organisationen sind Gebilde, um Handlungen zu koordinieren. Dabei kommunizieren sie fortwährend über Entscheidungen.
Blickt man so auf Organisationen, ist noch nicht viel gewonnen. Daher schlage ich im Folgenden ein paar Thesen über Organisationen auf.

These 1: Organisationen ziehen ihre Kraft aus der Arbeitsteiligkeit und das hat Folgen

Du machst das und ich mache das oder im Großen: Der Vertrieb verkauft unsere Produkte und das Marketing kümmert sich um den Markenauftritt. Aus dieser „Ursünde“* der Organisation resultiert die Leistungsfähigkeit jeder Organisation. Sie handelt sich damit aber unterschiedliche Eigenlogiken in der Organisation ein, d.h. unterschiedliche Definitionen von richtig oder falsch. Dieses Aufeinanderprallen von Unterschieden wird seit Jahren als Siloeffekte beschrieben. Doch egal wie sich eine Organisation organisiert, z.B. in dem man vorgibt „Silos aufbricht“, Kreise organisiert, crossfunktionale Projektteams installiert, solang man arbeitsteilig agiert, wird jede Organisationseinheit sich gemäß ihrem Auftrag optimieren und neue Silos entstehen. Klar ist, lokale Optimierung bringt Effizienz und hat dennoch Folgen.
Anstelle gegen Silos anzukämpfen, stellen wir unseren Kunden lieber zwei Fragen:
1. Sollen wirklich Alle alles wissen?
2. Wo wird Spannung in der Organisation gebraucht, damit um die besten Lösungen gerungen wird und wo braucht es strukturelle Entspannung?

These 2: Organisationen brauchen nicht für alles eine Regel und funktionieren gerade deshalb

In jeder Organisation gibt es formale Strukturen: Festgelegte Kommunikationswege, Meetings, Prozesse, Strategie, Stellen usw. sie polen die Organisation auf Dauerhaftigkeit. Doch keine Regel regelt jedes Ereignis; hin und wieder muss auf Kundenerwartungen schneller reagiert werden, als es der Prozess vorsieht; nicht jedes Regelmeeting eignet sich, um alle Themen zu platzieren und widersprüchliche Vorgaben sind keine Seltenheit. Als Antwort darauf bilden sich auf der Hinterbühne informale Routinen aus, die die Funktion der Organisation auch dann sichern, wenn formales gerade nicht greift. Die Informalität bzw. Organisationskultur ist keine Faulheit von Mitarbeitenden, sondern der Wille erfolgreich Arbeit abzuleisten. So betrachtet ist Organisationskultur die Superpower jeder Organisation. Wer an die Organisationskultur heran will, muss den Umweg über die formalen Verhältnisse gehen.
Unseren Kunden stellen wir hierzu gerne die Frage: Welche informalen Lösungen brauchst Du formal abgebildet und wo kannst Du mit Nicht-Anweisbarkeit von Informalität leben?

These 3: Gemeinsame Ziele gibt es in Organisationen nur nach außen und genau dort kommen sie zur Entfaltung

Aus der Arbeitsteiligkeit folgt, dass Teams, Abteilungen, Bereiche ihr eigenes Richtig und Falsch kennen – sprich eine Eigenlogik im Hinblick auf Erfolg haben und daher auch eigene Ziele ableiten. Das steht im Widerspruch zu der Annahme, dass in Organisationen alle an einem Strang ziehen (sollten). Doch auch dafür hat die Organisation eine Lösung. Die gemeinsame Vision, die übergeordneten Ziele werden auf der Schauseite der Organisation platziert und genau dort, soll ein möglichst einheitliches und widerspruchsfreies Bild erzeugt werden. Wer würde schon eine Dienstleistung einkaufen oder sich anstellen lassen, wenn man sofort die vollständige Widersprüchlichkeit und die ungelösten Konflikte einer Organisation einsehen kann? Häufig wird von Vision Statements, Purpose oder Leitbildern Handlungsorientierung erwartet, doch dann ist man sofort wieder auf der formalen Seite und nimmt der Schauseite ihre notwendige Funktion. Auf der formalen Seite gibt es dafür die Strategie, die kleinteilig Handlungen koordiniert und hier treffen die unterschiedlichen Eigenlogiken aufeinander. Daher ist Strategie auch ein Ringen um die besten Lösungen. Die Schauseite für sich entwickelt eine eigene Dynamik, die mit dem erlebten Alltag in den Abgleich gebracht werden muss. Übertreibt man es mit dem Purpose, während es die Arbeitsbedingungen bescheiden bleiben, muss man sich nicht über Entfremdungsgefühle der Mitglieder wundern.
Die Frage, die wir unseren Kunden hierzu beantworten lautet: Was handelst Du dir ein, wenn alle gleichgeschaltet werden?

These 4: Organisationen brauchen den Menschen und wollen ihn nicht komplett

Ohne den Menschen keine Organisation, doch alles vom Menschen hat in der Organisation keinen Platz. Dieses Spannungsfeld wird regelmäßig neu austariert. Jede Organisation muss den Deal Leistung gegen Geld für sich überprüfen und hier warten neue Fallen. War es früher selbstverständlich, dass das durch den Arbeitsvertrag festgelegte Rollenangebot bedeutet, dass jedes Organisationsmitglied auf einen Großteil möglicher Verhaltensweisen verzichtet, so mag das heute nicht mehr überall gelten. Wenn aber Individualismus, Sinnstiftung oder emotionale Sicherheit gefordert werden, dann wird – radikal formuliert – die Organisation Platzhalter für individuelle wie soziale Bedürfnisse. Allerdings kann keine Organisation auf lange Zeit nur eine relevante Umwelt in das Zentrum des Organisierens stellen, das gilt für Mitarbeitende analog wie für Shareholder.
Die passende Frage an unsere Kunden lautet: Woran bemerkst Du, dass der Interessenausgleich zwischen der Organisation und ihren Mitgliedern in Schieflage geraten ist und welche Verhältnisse musst Du schaffen, um hier entgegenzuwirken?

These 5: Alles in Organisationen kann als Lösung verstanden werden, wenn man will

Überbordende Meetings, Arbeiten trotz Krankschreibung, schreiende Vorgesetzte, kontinuierlicher Projektverzug, Entscheidungs-Ping-Pong – das sind bekannte Phänomene, die zu Beratungsanfragen führen. Doch für welches Problem sind das eigentlich eingeübte Lösungsstrategien – ja richtig, Lösungsstrategien! Nimmt man an, dass jedwedes Verhalten in Organisationen einen Sinn hat und dadurch ein tieferliegendes Problem adressiert wird, dann versteht man Stabilität als erklärungsbedürftig, die der Veränderung gegenübersteht. Praktisch ausgedrückt heißt das am Beispiel Arbeiten trotz Krankschreibung in einem Sozialunternehmen: Das Verhalten löst das Problem der überbordenden Führungsspanne, welche ihrerseits im Geschäftsmodell begründet ist. Ohne diesen Blick drückt man vorschnell auf Veränderung und ordnet beispielsweise Gesundheitsschulungen für die betreffenden Mitarbeitenden an. Das für Mitarbeitende dann nur noch Zynismus oder Kündigung übrig bleibt, erklärt sich von selbst.
Unseren Kunden stellen wir hierzu gerne Die Frage: Wenn das Problem so einfach zu beschreiben ist, warum ist es dann noch da?

Fragst Du dich auch – warum sollte ich mir das antun?

Nun…Sollte man sich überhaupt damit auseinandersetzen? Gute Frage, denn sobald man mehr davon versteht, wie Organisationen funktionieren, ändert sich die eigene Sichtweise von es ist so hinzu es könnte auch immer anders sein und damit ist das eigene Heilsversprechen wohlmöglich nicht mehr haltbar. Aber sind wir mal ehrlich, wer hat nicht schon die Erfahrung gemacht, dass Tools nach ihrer Einführung sofort wieder verschwinden, gut gemeinte Schulungen nicht angenommen werden oder Change Maßnahmen im Abteilungs-Theater abgewehrt werden.
Wir würden sagen, dass jedes Tool, jede Management-Idee an Wirksamkeit gewinnen kann, wenn man es mit Verständnis für die konkrete Organisation einführt. Sollte also einer der folgenden Begriffe für Dich zur Religion (das Wahre) geworden sein, dann ist mein Artikel vielleicht eine brauchbarer Denkanstoß:
Mitarbeiterzentriert, Agil, SAFE, Lean, Leitbild, Culture Change, Transformationale Führung, psychologische Sicherheit, Selbstorganisation, OKR, Machtspiele, Silos, Meetikette – die Liste kann beliebig verlängert werden.

Quellen
*Begriff geliehen von Judith Muster
Foto von form PxHere

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