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Organisationale Resilienz – Resilienz zwischen den Köpfen

In Ihrem Gastkommentar „Innovation macht widerstandsfähig“ im Handelsblatt, schreibt Sabine Bendiek: „Um das (Anm. Potential der Resilienz) zu heben, brauchen wir ein tieferes Verständnis von Resilienz“. Diesem Appell kann ich mich nur anschließen und in meiner Wahrnehmung, existieren bereits viele verständnisfördernde Empfehlungen und Studien zu entsprechenden Schutzmechanismen resilienter Unternehmen. Zudem liegt mit der ISO 22316:2017 eine offizielle Leitlinie für organisationale Resilienz vor und auch die großen Beratungshäuser, wie z.B. die Boston Consulting Group mit ihrer Studie Becoming all weather companies, warten mit allerlei Ansatzpunkten auf.

Für mich persönlich sind jene Studien etc. eine Seite der Verständnis-Medaille, weswegen ich mit diesem Beitrag einen Vorschlag mache, die andere Seite zu betrachten und empfehle Resilienz in Organisationen aus einer erweiternden Perspektive zu beleuchten.

Passend dazu ist ein interessantes Kundengespräch, das mein Kollege Andreas Feldmann und ich vergangene Woche hatten und wir gemeinsam mit der Geschäftsführung die Frage erörterten: Warum denn eine Organisation nicht automatisch resilienter wird, wenn all ihre Mitarbeitenden in Ihrer eigenen Resilienz gefördert werden (z.B. durch den Google Ansatz Search-Inside-Yourself)? Und genau da lohnt sich ein differenzierender Blick.

Was also stärkt Resilienz für Organisationen?

Die oben beschriebenen Schutzmechanismen (z.B. ISO 22316:2017) sind im systemtheoretischen Organisationsverständnis zumeist der Programmebene (Wenn-Dann Abläufe bzw. Zweckprogramme) zuzuordnen. Als soziale Systeme sind Organisationen über Erwartungsstrukturen strukturiert und in ihrer Kommunikation entwickelt jede Organisation eine passende Eigenlogik – die Kommunikationsmuster. Um das Potential (bezugnehmend auf den oben erwähnten Kundentermin) in einem sozialen Gebilde wirklich heben zu können, ist daher weniger die Resilienz in den Köpfen von Interesse, sondern vor allem die resilienzfördernden Ansätze zwischen den Köpfen.

Um diesen Punkt noch deutlicher zu machen, möchte ich zunächst den Resilienzbegriff für die verschiedenen Ebenen Person – Team bzw. Gruppe – Organisation sortieren.

Resilienz auf persönlicher Ebene: Bewusstheitsmuster

Als die persönliche Widerstandfähigkeit, für die es eine große Bandbreite an psychologischen Erklärungsmodellen gibt. Bezogen auf den Kontext dieses Beitrages geht es dabei, insbesondere bei Führungskräften, um einen persönlicher Umgang mit Komplexität, Widersprüchen, Unerwartetem und letztlich Veränderungen.

Resilienz auf Team- bzw. Gruppenebene: Beziehungsmuster

Als die Fähigkeit von Teams in Krisensituationen handlungsfähig zu bleiben und diese gemeinsam erfolgreich zu meistern. Ausgehend von dem Standpunkt, dass ein Team immer mehr ist als die Summe aller Mitglieder, d.h. ein eigenes lebendiges System, liegt hier besonders der Fokus auf dem Zwischenraum und den Beziehungsmustern. Im Kontext der hier beschriebenen Resilienzstrategie, bietet sich die Beantwortung folgender oder ähnlicher Fragen:

  • Wie geht das Team mit Unterschiedlichkeit um?
  • Wie wird im Team Sinn produziert (im Sinne sensemaking)?
  • Wie werden im Team Fehler und Abweichungen behandelt?
  • Welche Themen sind erlaubt, welche werden vermieden?
  • Wie wird wann über was entschieden?
  • Wie beobachten wir uns als Team (Feedbackfähigkeit)?

Organisationale Resilienz: Kommunikationsmuster

Zielt auf die Frage ab, wie sich Organisationen organisieren müssen, d.h. welche Praxis, Rituale und Prozesse muss vorhanden sein, um in unvorhergesehenen Situationen entsprechend reagieren zu können und dabei leistungsfähig zu bleiben. Resilienz meint hier also vorbereitende Bewältigungsstrategien, um mit auftretender Komplexität umzugehen und geht somit über reine Schutzmechanismen hinaus, wie sie z.T. in ISO und der erwähnten BCG Studie aufgeführt werden. Hollnagel liefert in seinem Resilience Engineering Konzept dafür folgende Definition: „The intrinsic ability of a system to adjust its functioning prior to, during, or following changes and disturbances, so that it can sustain required operations under both expected and unexpected conditions.“ (Hollnagel 2006)

Resiliente Fähigkeiten haben also eine Balancefunktion, zwischen unerwarteten Ereignissen und formalisierten Abläufen, die eine komplexere operative Wirklichkeit nicht immer abbilden.

Somit stellt sich hier durchaus die Frage, über welche Strukturen eine Organisation ihre Fähigkeit zur Selbstbeobachtung fördern kann. Dazu biete ich u.a. folgende Fragen an:

  • Wie gehen wir mit Fehlern um bzw. wie ist unser Blick auf Fehler?
  • Welche sozialen Rituale helfen uns, die individuelle Wahrnehmungsfähigkeit unserer Mitarbeitenden besser zu nutzen
  • Haben wir entsprechende Kommunikationsstrukturen, damit Impulse von außen schnell verarbeitet werden können (um ggf. eine Entscheidung herbeizuführen)
  • Bilden wir innerhalb der Organisation, ausreichend die komplexe Welt außerhalb der Organisation ab?

Und wie jetzt weiter – eine Zusammenführung.

Aus einer systemtheoretischen Perspektive kann eine Organisation nie direkt resilient gemacht werden, sondern eben nur „via Bande“ entlang der Entscheidungsprämissen. Für ein wirklich tiefergehendes Verständnis einer resilienten Organisation, braucht es daher den gleichzeitigen Blick auf die jeweils einzelne Ebene und auf die Wechselwirkungen aller drei Ebenen als kollektiv, aufeinander abgestimmte Anpassungsleistung einer Organisation. Resilienz im organisationalen Kontext ist also auch ein soziales Phänomen, welches sich „aus und in Wechselwirkung mit der Organisationskultur“ (Hoffmann 2017) entwickelt. Kombiniert mit den beschriebenen Schutzmechanismen aus ISO und Co., kann ein resilienter Schuh draus werden.

Was fehlt also noch?

Platt gesagt, ist organisationale Resilienz also bereits an Bord. Eine Betrachtung der unterschiedlichen Ebenen erweitert die Möglichkeiten, in dem Unbewusstes sichtbar wird. Mit Sicherheit finden sich in ihrer Organisation bereits unbewusste Resilienzstrategien, die es verdienen entdeckt und sogar formalisiert zu werden. Um damit auch die Aussage von Sabine Bendiek zu verstärken, ist zudem eine individuelle, inhaltliche Auseinandersetzung mit formalen Resilienzschutzmaßnahmen absolut wichtig und angebracht. Meiner Auffassung nach geschieht das in Organisationen durchaus und wird nicht zuletzt durch die aktuelle Zeit verstärkt.

Zusammenfassen möchte ich daher noch die folgenden Aspekte:

  • Der Sinn und Zweck Resilienz braucht einen bewussten Führungsrahmen, um letztlich den Begriff selbst auch zu schärfen. Geht es eher um Anpassungsleistung, Präventionsstrategien, Antizipationsfähigkeit, kollektive Aufmerksamkeit, Modewort – oder um alles gleichzeitig?
  • Eine Klärung des Resilienzbegriffes entlang der verschiedenen Ebenen (Logik) unterstützt die Sortierung, macht Unbewusstes sichtbar und löst den Fokus auf einzelne Mitarbeitende.
  • Ein vertieftes Wissen über Organisation als soziale Gebilde ist elementar, um damit letztlich auch die Einflussmöglichkeiten zu kennen.

Ich bin überzeugt, dass in jeder Organisation organisationale Resilienz steckt. Dorthin einen vertiefenden Blick zu werfen, kann durchaus lohnenswert sein. Ich freue mich auf eine anregende Diskussion zu meinen Überlegungen.

#nextnormal #organisationaleresilienz

Quellen:

  • Annette Gebauer (2017) Kollektive Achtsamkeit organisieren: Strategien und Werkzeuge für eine proaktive Risikokultur
  • Gregor Paul Hoffmann (2017) Organisationale Resilienz: Kernressource moderner Organisationen
  • Erik Hollnagel, David D. Woods (2006) Resilience Engineering: Concepts and Precepts
  • Kathleen M. Sutcliffe, Karl E. Weick (2016) Das Unerwartete managen: Wie Unternehmen aus Extremsituationen lernen
  • Stefan Kühl, Judith Muster (2016) Organisationen gestalten: Eine kurze organisationstheoretisch informierte Handreichung

Titelbild von unsplash

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René Langheinrich

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